Über 1 Million Opfer - Der vergessene Genozid
Das kommunistische Pol Pot Regime ermordete in den späten 70er-Jahren in Kambodscha 1-2 Millionen Menschen. In unserem Schulunterricht hören wir davon nur selten etwas. sprint erzählt die Geschichte vom vergessenen Genozid.
Ein alter, gebrechlicher Mann sitzt auf der Anklagebank. Sein aufgeschwemmtes Gesicht zeugt von langer Haft, seine Augen blicken in die Leere. Eigentlich undenkbar, dass der 93-jährige Khieu Samphan ein Teil der Führungselite des Pol-Pot Regimes war. Vor wenigen Tagen wurde das letzte Gerichtsverfahren bezüglich Verbrechen der Roten Khmer in Kambodscha abgeschlossen. In den Jahren 1975-79 waren sie an der Macht und schafften es, in dieser kurzen Zeitspanne von drei Jahren ca. 2 Millionen Menschen umzubringen. Ein verheerender Genozid, der in unserem Geschichtsunterricht überlesen oder nur flüchtig behandelt wird. Das Augenmerk in Österreich liegt auf dem Holocaust, auf dem Nationalsozialismus. Doch die Killing Fields und die Massensäuberungen in Kambodscha sagen uns nichts.
Die grausamen Roten Khmer
Kambodscha liegt in Südostasien und teilt seine östliche Grenze mit Vietnam. Im Laufe des Vietnamkriegs warfen die USA 500.000 Tonnen an Sprengstoff über der Grenzregion zu Kambodscha ab. Dieses Gebiet war ein Rückzugsort der von der UdSSR unterstützten nordvietnamesischen Kämpfer. Hier wurden mehr Bomben eingesetzt als während des gesamten Zweiten Weltkriegs im pazifischen Raum. Die ständige Bombardierung führte zu einer Normalisierung der Gewalt unter den Kambodschanern und der Bildung eines Feindbilds der USA. Die Roten Khmer, durch politische Verfolgungen in die Wälder im Osten des Landes zurückgetrieben, versprachen Frieden und die Vertreibung des Westens. Soldaten liefen zu der extremistischen Miliz über, die ihre Ursprünge in der kommunistischen Partei Kambodschas hat. Den entscheidenden Unterschied machten die Waisenkinder aus den bombardierten Gebieten. Ohne zuhause, ohne Familie, fanden sie Zuflucht bei den Roten Khmer. Diese Kinder, manche erst 11 Jahre alt, wurden zum essentiellsten Teil der bereits 200.000 Mann starken Armee.
Erst 2006 wurde ein Tribunal, von den Vereinten Nation gestützt, ins Leben gerufen. Das sind 27 Jahre, nachdem die Roten Khmer gestürzt wurden. Nach dem Ende des Vietnamkriegs marschierten vietnamesische Truppen in Kambodscha ein und entmachteten das Regime. Doch es war bereits für Millionen Menschen zu spät. Denn die Roten Khmer, die ideologisch den chinesischen Kommunisten nacheiferten und einen autarken Agrarstaat umzusetzen versuchten, zeichneten sich durch ihre Grausamkeit aus. Die Kernpersonen des Tribunals waren der 2019 verstorbene Chefideologe Nuon Chea, der 2020 gestorbene Chef des Foltergefängnisses S-21 Kaing Guek Eav, auch Duch genannt und Ex-Staatschef Khieu Sampan. Jeder einzelne war verantwortlich für unzählige Tote. Doch der ehemalige Anführer der Roten Khmer, der Bruder Nr. 1, auch genannt Pol-Pot, starb eines natürlichen Todes in den Wäldern im Westen Kambodschas. Denn dorthin zurückgezogen existieren die Roten Khmer noch, einst sogar noch von den USA wegen der verwickelten Bündnisse des Kalten Krieges unterstützt.
Keine Aufarbeitung, keine Verantwortung
Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden alle drei Angeklagten zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. In den drei Jahren ihrer Herrschaft starben Menschen an Hunger und an Erschöpfung, hervorgerufen durch Fehleinschätzung und unsinnigen Zielen der Führerclique. Doch ebenso tödlich war die Paranoia des Regenten Pol-Pot. Allein das Tragen von Brillen oder die Kenntnis fremder Sprachen führte zu einem Verdacht auf Verschwörung und einer Verhaftung. Das berüchtigtste Gefängnis dieser Zeit war das S-21, auch Tuol Sleng genannt. In einem ehemaligen Gymnasium wurden Häftlinge durch Folter zu einem Geständnis gezwungen. Von 18.000 Gefangenen überlebten 23. Der Leiter dieses Gefängnisses, Kaing Guek Eav, wurde 2010 zu 30 Jahren Haft verurteilt, die später auf ein lebenslängliches Urteil verlängert wurden. Auf den im Zuge der Massensäuberungen entstanden Killing Fields wurden mehr als 100.000 Menschen umgebracht. Gefangene wurden mit Äxten und Spaten auf Feldern niedergeschlachtet, Erschießungskommandos gab es keine, die Menschen waren die Munition nicht wert.
Kambodscha hat in den letzten Jahren einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, eine Folge der Öffnung seiner Grenzen. Die Herrschaft der Roten Khmer wird verdrängt. Die spät angefangene und fadenscheinige Aufarbeitung des Terrors wird nur durch das nun beendete Tribunal verdeutlicht. Zur Verantwortung gezogen wurden nur Ausgewählte der obersten Führungsreihen. Denn zu viele waren früher Brüder der Roten Khmer. So auch der jetzige Premierminister des Landes: Hun Sen. Von einer Aufarbeitung vergangener, verheerender Verbrechen, wie sie in Österreich praktiziert wird, können Jugendliche in Kambodscha nur träumen.